5 Fragen an Kurt Lüscher zu den Trends der Energiebranche
Vor einem Monat haben wir bereits angekündigt, unseren neuen Eturnity Verwaltungsrat zum Stand und zu Trends der Erneuerbaren Energie-Branche zu befragen. Eingeleitet haben wir die Reihe mit Walter Steinmann.
Im zweiten Schritt gibt uns Kurt Lüscher, früherer CEO der Energie 360° AG, Einblick in seine Ansichten und Aussichten. Heute ist er, neben seiner Tätigkeit im Verwaltungsrat bei Eturnity, ausserdem tätig als Managing Director bei der Implementation Force AG.
Unsere 5 Fragen zu Trends in der Branche der Erneuerbaren Energien:
1. Herr Lüscher, uns geht es in diesem Kurz-Interview um Fortschritte und Trends der Branche. Sie sind seit Jahrzehnten Experte im Bereich Telekommunikation und Energie. Ich möchte Ihnen deshalb gern die gleiche Frage stellen, wie schon Herrn Steinmann: Was würden Sie sagen, waren die grossen Branchen-Fortschritte der vergangenen zehn Jahre und wie zufrieden sind Sie persönlich damit, wo wir heute stehen?
Vergleiche ich die Situation mit dem benachbarten Ausland, dann muss ich feststellen, dass wir in gewissen Themen zehn bis fünfzehn Jahre zurückliegen. Das betrifft vor allem die Marktöffnung. Der Schweizer Markt ist leider nur zu einem kleinen Teil liberalisiert. Ich möchte aber gern auch auf die Fortschritte eingehen.
Trend zur Dienstleistung:
Es gibt einige grosse Energieversorger in der Schweiz, die in den letzten Jahren primär mit sich selbst beschäftigt waren, allenfalls noch mit dem Ausland. Aber einen Fokus in der Schweiz hatten sie nicht.
Es gibt inzwischen allerdings auch andere Beispiele, dazu zählt unter anderem BKW. Sie setzen sehr stark auf Dienstleistungen. Dieser Trend, vom reinen Energiehandel hin in Richtung Dienstleistungen, ist ein grosser und wichtiger Schritt.
Bedeutung der Erneuerbaren:
Immer mehr Energieversorger, im regionalen, kommunalen und institutionellen Bereich, haben viel in Erneuerbare Energien investiert. Bisher sehr oft im Ausland, aber das ist dennoch eine spannende Entwicklung.
Ein grosser Fortschritt in der Schweiz ist vor allem der Zubau von Photovoltaik. Es ist eine schöne Sache, dass in der Schweiz Photovoltaik massiv zugebaut wird.
Ich möchte an dieser Stelle den Bereich Erneuerbare Wärme nicht unerwähnt lassen. Denn auch in Sachen Wärmeproduktion und -verteilung, basierend auf erneuerbarer Wärme, haben sich die Energieversorger stark engagiert. Der Auf- und Ausbau von Wärmenetzen (Fernwärme) hat sich zu einem starken Wachstumsgebiet entwickelt und bietet viel Potential.
Auch die Gasversorger investierten in den letzten zehn Jahren stark in Biogasproduktion, im In- und im Ausland. Man kann sagen, dass auch erneuerbares Gas aktuell schon weit verbreitet ist. So sehr, dass es inzwischen eine Zielsetzung ist, bis zum Jahr 2030 bis zu 30 Prozent Biogas für Wärmekunden im Netz zu haben. Erdgas macht 25 % des Energieverbrauchs aus, es ist also wichtig, dass sich dort etwas tut.
Erste Schritte der Marktöffnung:
Auch Dank der angelaufenen Marktöffnung im Strom, glaube ich schon zu erkennen, dass viele Energieunternehmen kundenorientierter geworden sind.
Viele haben begonnen ihre Kunden zu segmentieren und es gibt inzwischen erste digitale Plattformen, wie diejenige von Eturnity, welche den Verkaufsprozess digitalisiert, professionalisiert und zum Kundenerlebnis macht. Da ist also einiges vorangegangen.
In drei Bereichen können wir noch dringend etwas ändern und mehr tun:
Stromabkommen: Es gibt nach wie vor kein Stromabkommen mit dem benachbarten Ausland bzw. mit der EU.
Versorgungssicherheit erhöhen: Wir sind im Winter stark auf ausländischen Strom angewiesen, der vom CO2-Footprint nicht optimal ist. Dezentrale Produktion / Speicherung (WKK / P2G) würde hier helfen.
Mobilität:Hier stehen wir nicht gut da, vor allem im Vergleich mit den nordischen Ländern. Dabei macht Mobilität einen sehr grossen Teil des Energieverbrauchs aus.
2. Erklären Sie uns doch kurz, auf welchem aktuellen Stand sich das Thema Sektorkopplung, also die Betrachtung aller Energiebereiche als Gesamtsystem, befindet?
Da stehen wir schon noch am Anfang. Aber das Thema gewinnt inzwischen auch bei den Stromversorgern an Bedeutung. Ein gutes Beispiel für funktionierende Sektorkopplung sind die Stadtwerke St. Gallen, sie nutzen hierfür die Wärme-Kraft-Kopplung, also eine Technologie, mit der man Strom, Gas und Wärme kombinieren kann. Dank diesem System sind sie viel autonomer geworden und haben dadurch enorme Effizienzgewinne im Gesamtsystem.
Im kleinen Stil schaffen es vor allem Liegenschaften/Quartiere, Sektorkopplung zu integrieren, da es hier einfacher ist, die versch. Systeme zusammenzubringen. Das sieht man bspw. bei Eigenverbrauchs-Gemeinschaften. Ein schönes Beispiel hierfür ist die Stiftung Umweltarena Schweiz, welche autarke / autonome Liegenschaften entwickelt, welche teilweise sogar ohne externe Energiezuführung funktionieren.
Zu den Technologien, welche noch nicht ausgereift sind, zählt bspw. Power-to-Gas. Das heisst, aus Überschuss-Strom (PV im Sommer) wird Wasserstoff gemacht (Elektrolyse) und danach sogar Erdgas produziert (Methanisierung). Eine erste grosse industrielle Anlage entsteht zurzeit bei der Limeco im Limmattal.
Wir haben nicht nur technologische Herausforderungen, es gibt auch noch das Problem der Diskriminierung von einzelnen Anwendungen, bspw. müssen dezentrale Produktionen/Speicher hohe Netzgebühren zahlen. Dies führt zu einer relevanten Benachteiligung gegenüber der zentralen Produktion (bspw. Wasserkraftwerk).
3. Wie wird sich das in den kommenden zehn Jahren aus Ihrer Sicht ändern, vor allem in Bezug auf Digitalisierung und Smart Energy?
Grundsätzlich ist Digitalisierung ein Thema mit drei Bereichen:
Prozessoptimierung: Es ist vorgesehen, dass in allen Liegenschaften Smart Meter eingebaut werden und so wird niemand mehr persönlich vor Ort Zählerstände ablesen und Kunden müssen ihren Verbrauch auch nicht mehr einreichen. Das ist dann eine Prozessoptimierung, mit der man primär Kosten sparen kann.
Datenmanagement:Die Bedeutung der Daten wird steigen. Man wird dann von den Kunden wissen, wann sie besonders viel Strom und auch für was brauchen. Man kann daraus Rückschlüsse ziehen und mit diesen Daten bspw. innovative Tarifmodelle entwickeln. Zusätzlich kann man die Stromnetze optimieren. Da gibt es für mich übrigens einen Vergleich zur Telekommunikation, dort werden schon seit Jahrzehnten Produkte auf der Basis von Datenanalyse entwickelt. So ähnlich stelle ich mir das auch mit dem Strom vor, natürlich immer unter Berücksichtigung des Datenschutzes.
Innovationen: Dank der Digitalisierung werden völlig neue Produkte entstehen. Hier kommt wieder Eturnity ins Spiel. Denn dank digitaler Plattformen werden kundenorientierte Prozesse unterstützt, neu definiert, optimiert etc. Ich bin mir sicher, dass hier ein riesiges Potential liegt und Digitalisierung das Thema ist, welches die Energieversorgung der Zukunft am meisten beeinflussen wird.
4. Welche Innovationen im Bereich Digitalisierung und Smart Energy schauen für Sie vielversprechend aus?
Plattformen und Software haben einen wichtigen Stellenwert.
Ich kenne Beispiele, welche die ganzen Handelsprozesse weiter optimieren werden, bspw. mit Blockchain-Technologie. Daraus wird auch die Möglichkeit entstehen, dass jeder seine selbst produzierte Energie selbst handeln kann, über allgemein zugängliche Systeme.
Asset Management wird auch ein grosses Thema sein (digitale Systeme, die helfen die Produktion zu optimieren). Bspw. können so Windparks und PV-Anlagen anhand von Wetterdaten und Online-Daten optimiert werden.
Zudem gibt es ein riesiges Potential im Bereich der Visualisierung – bspw. indem CO2-Landkarten einer Stadt visualisiert und Informationen abgeleitet werden, um die CO2-Reduktionsziele zu erreichen.
5. Was sollte, nicht nur die Schweiz noch tun, damit wir erneuerbare Energien in die bestehende Infrastruktur integrieren können?
Vieles ergibt sich, je offener wir sind und je mehr Marktteilnehmer mitwirken können. Das ist das Wirtschaftsverständnis, das man in den Städten aufbringen sollte. Es stellt sich also auch die Frage, was man nicht tun soll, damit der Erfolg entstehen kann.
Ein Beispiel dazu ist die Technologie-Neutralität. Es scheint mir falsch, wenn man Technologien verbietet. Viel wichtiger ist es Ziele zu setzen. Den Weg dahin sollte man den Beteiligten möglichst frei lassen, so werden sich die besten Lösungen durchsetzen.
Vielen Dank für das Interview!
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